Schwankende Landschaften

Schwankende Landschaften

Bild: Lago di Livigno IT/GR

Anlässlich der anstehenden Projekte im Bereich der Wasserkraft, besonders der geplanten Stauseen, ist eine Auseinandersetzung mit dem Wesen und der Beschaffenheit solcher “Seen” wichtiger denn je. Im ersten Quartal 2025 war der Füllstand der meisten Stauseen in der Schweiz aussergewöhnlich niedrig, manche waren beinahe leer. In dieser Zeit wird ersichtlich, dass Stauseen keine natürlichen Seen sondern technische Anlagen sind. Die SL-FP hat diese Situation fotografisch dokumentiert, denn sie dürfte künftig häufiger vorkommen.

SL-FP 2025
Projektleitung: David Jäger
Ort: 3007 Bern

Die Energiewende bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich – eine der grössten ist der Ausgleich der unregelmässigen Stromproduktion aus Wind- und Solarkraft. Für eine stabile Versorgung braucht es mehr Möglichkeiten, Energie zu speichern. Eine zentrale Rolle spielen dabei Stauseen, die als  «Batterien» fungieren und grosse Mengen an potenziellem Strom speichern können. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien werden Stauseen als Energieinfrastrukturen darum noch bedeutender. 

Doch ein Stausee ist kein natürlicher See. Auf eindrückliche Weise zeigte sich dies im ersten Quartal 2025, als zahlreiche Stauseen in der Schweiz einen aussergewöhnlich niedrigen Füllstand aufwiesen (siehe FAQ). Die beinahe entleerten Talböden wirkten wie riesige Baugruben, und die betroffenen Landschaften veränderten sich dadurch markant. Solche Schwankungen dürften in Zukunft öfter vorkommen (siehe FAQ). Entsprechend wichtig ist die sorgfältige Projektierung etwa der im Rahmen des Stromgesetzes geplanten Anlagen, um die Auswirkungen auf Landschaft und Natur zu begrenzen.

Die SL-FP hat die wichtigsten Fakten zur Entwicklung zusammengetragen (siehe FAQ) und die Situation bei fünf Stauanlagen fotografisch dokumentiert und mit den wichtigsten Eckdaten versehen: Lac de Moiry VS, Mattmark VS, Lago del Sambuco TI, Marmorera GR und Lago di Livigno GR. Die Fotografien machen deutlich, wie gravierend diese Form der Energieproduktion die umgebende Landschaft verändert. 

Marmorera Stausee
  • Marmorera Stausee GR

Eckdaten zu den Schweizer Stauseen

Insgesamt gibt es etwa 200 Speicherseen in der Schweiz. Bei vollem Wasserstand bedecken diese Stauseen eine Gesamtfläche von 60 Millionen Quadratmetern.  Die gesamte Stromproduktion durch Pump- und Speicherkraftwerke entspricht 19'000 GWh/Jahr, das entspricht rund 30% der gesamten Schweizer Stromproduktion.

Grösster Stausee: Grande Dixence VS

Karte
Volumen: 400 Mio. m³
Oberfläche bei vollem Wasserstand: 208 ha
Leistung: 2070 MW
Produktion der Kraftwerksgruppe: 2000 GWh/Jahr
Bauzeit: 1951-1961

Ältester Stausee: Pérolles-Staumauer FR

Der Bau der Mauer wurde 1872 abgeschlossen, somit handelt es sich um die älteste betonierte Staumauer Europas. Der Stausee ist nach all der Zeit, so stark verlandet, dass sich kleinere Inseln gebildet haben. Heute ist der Stausee ein Wichtiges Natur- und Vogelschutzgebiet.

Karte
Volumen: 0,4 Mio. m³
Oberfläche bei vollem Wasserstand: 35 ha
Leistung:  17,8 GW
Produktion der Kraftwerksgruppe: 52 GWh/Jahr
Bauzeit: 1870-1872

Neuster Staumauer: Muttsee GL 

Der 1963 erbaute Erddam wurde 2015 durch eine Betongmauer ersetzt, diese hat eine Länge von 1054 Metern, was sie zur längsten Staumauer der Schweiz macht. Mit seiner Lage auf 2473 m ü. M handelt es sich zusätzlich um den zweit höchstgelegenen Stausee der Schweiz. 

Karte
Volumen: 23 Mio. m³
Oberfläche bei vollem Wasserstand: 84 ha
Leistung: 1480 MW
Produktion der Kraftwerksgruppe: 1900 GWh/Jahr
Bauzeit: 2012-2015

Marmorera-Stausee GR

Marmorera Stausee

  • Karte
  • Lage: Gemeinde Surses, Kanton Graubünden
  • Bauzeit: 1950–1954
  • Staumauerhöhe: 91 m
  • Speichervolumen: 60 Mio. m³
  • Geplante Erweiterung
  • Erhöhung der Staumauer um 14 m
  • Zusätzliche Speicherkapazität: ca. 50 GWh
Marmorera-Stausee GR

Kraftwerke Mittelbünden

  • Betreiber: Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ)
  • Jährliche Stromproduktion der gesamten Kraftwerksgruppe: 734.7 GWh
  • Leistung: 226 MW
  • Konzession: Die Konzession läuft im Jahr 2035 aus. Kanton Graubünden und Gemeinde Surses planen, bei Ablauf der Konzession das Heimfallrecht auszuüben. Die Anlagen würden dann in den Besitz des Kantons und der Gemeinde übergehen. Zurzeit finden Verhandlungen über die künftigen Eigentumsverhältnisse statt.
Längenprofiel der Bündner Kraftwerke

Lac de Moiry

Lac de Moiry VS
  • Karte
  • Lage: Gemeinde Anniviers, Kanton Wallis
  • Bauzeit: 1954-1958
  • Staumauerhöhe: 148 m
  • Speichervolumen: 77 Mio. m³  
  • Geplante Erweiterung
  • Erhöhung der Staumauer um bis zu 22 m 
  • Studien der Alpiq ergaben eine Optimale Erhöhung um 8-10 m
  • Zusätzliche Speicherkapazität bei 22 m:  120 GWh
  • Zusätzliche Speicherkapazität bei 8-10 m: 50 GWh
Lac de Moiry VS

Kraftwerksgruppe Gougra

  • Betreiber: Forces Motrices de la Gougra SA, Sierre
  • Jährliche Stromproduktion der gesamten Kraftwerksgruppe : 643 GWh
  • Leistung: 215 MW
  • Konzession: Die Konzession läuft 2039 aus. Es gibt noch keine Absprache aber nach kantonalem Gesetz werden die Kraftwerke aufgeteilt (30% Kanton, 30% Gemeinden, 40% Private).
Schémas_Gougra

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Lago di Livigno TI

Lago di Livigno

  • Karte
  • Lage: Livigno (IT) / Gemeinde Zernez (CH), Kanton Graubünden
  • Bauzeit: 1965–1968
  • Staumauerhöhe: 130 m 
  • Speichervolumen: 154 Mio. m³
  • Energieinhalt: 257 GWh 
Lago di livigno TI

Engadiner Kraftwerke

  • Betreiber: Engadiner Kraftwerke AG (EKW)
  • Jährliche Stromproduktion der gesamten Kraftwerksgruppe: 1300 GWh
  • Leistung: 424 MW
  • Konzession: Die Konzession läuft 2050 für S-chanf, Pradella und Punt dal Gall aus. Der Kanton Graubünden plant, nach Ablauf der Konzession das Heimfallrecht auszuüben. Damit würden die Anlagen in den Besitz des Kantons übergehen.
Engadiener Kraftwerke

Mattmark Stausee

Mattmark Stausee VS
  • Karte
  • Lage: Gemeinde Saas-Almagell, Kanton Wallis
  • Bauzeit: 1960–1967
  • Staumauerhöhe: 117 m 
  • Speichervolumen: 100 Mio. m³ 
  • Geplante Erweiterung
  • Erhöhung der Staumauer um 10 m
  • Zusätzliche Speicherkapazität: 60 GWh
Mattmark Stausee VS

Kraftwerksgruppe Mattmark

  • Betreiber: Kraftwerke Mattmark AG
  • Jährliche Stromproduktion der gesamten Kraftwerksgruppe: 613 GWh 
  • Leistung: Gesamtleistung: 254 MW
  • Konzession: Die Konzession läuft im Jahr 2045 aus. Nach Ablauf der Konzession ist vorgesehen, dass die Anlagen in den Besitz des Kantons Wallis und der elf Konzessionsgemeinden übergehen. 
Mattmark Kraftwerke

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Lago del Sambuco TI

Lago del Sambuco

Lago del Sambuco
  • Karte
  • Lage: Gemeinde Lavizzara, Kanton Tessin
  • Bauzeit: 1956-1956
  • Staumauerhöhe: 130 m
  • Speichervolumen: ca. 63 Mio. m³
  • Energieinhalt: 109 GWh
  • Geplante Erweiterung
  • Erhöhung der Staumauer um 15 m
  • Zusätzliche Speicherkapazität: 46 GWh 
Lago del Sambuco TI

Maggia Kraftwerke

  • Betreiber: Maggia Kraftwerke AG (Ofima)
  • Jährliche Stromproduktion der gesamten Kraftwerksgruppe: 1378 GWh
  • Leistung: 600 MW
  • Konzession: Die Konzession läuft im Jahr 2035 aus. Nach Ablauf der Konzession ist der Übergang der Anlagen in den Besitz des Kantons Tessin und die zukünftige Verwaltung ist durch AET vorgesehen.
Maggia-Kraftwerksgruppe

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu tiefen Füllständen

Warum war der Füllstand Anfang 2025 besonders tief?

Die Situation Anfang 2025 ist ein gutes Beispiel für ein Szenario, das in Zukunft häufiger vorkommen wird. Die Produktion der Windenergie war im Vorfeld ungewöhnlich schwach, die entstandenen Stromlücken, wurden unter anderem durch die Wasserkraft ausgeglichen. Die Schweizer Kraftwerke liessen grosse Mengen Wasser aus den Stauseen ab, um Strom zu produzieren und die Mängel auszugleichen. In der Folge waren zahlreiche Stauseen Anfang 2025 nur zu 50% gefüllt. Daher wurde der Tiefpunkt schon im März erreicht, deutlich früher als sonst, und die Stauseen blieben bis Mitte Mai auf einem niedrigen Niveau.

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Wird es künftig häufiger vorkommen, dass Stauseen leer sind?

Ja, das ist aus folgenden Gründen wahrscheinlich: 

  • Preisschwankungen an der Strombörse nehmen zu:
    Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien wird die Stromerzeugung unregelmässiger, weil Wind und Sonne wetterabhängig sind. Deswegen entstehen in Europa häufiger Phasen mit geringerer Stromproduktion und einem dadurch höheren Strompreis. Betreiber:innen von Speicherkraftwerken werden diese Gelegenheiten gezielt nutzen, um Strom zu verkaufen.
  • Strombedarf steigt mit zunehmender Elektrifizierung und Digitalisierung :
    Mit dem Ersatz fossiler Energien durch Elektrizität steigen der Stromverbrauch und die Nachfrage nach Speicherstrom. Dies kann zu häufigeren Entleerungen der Stauseen führen. 
  • Verstärkte Stromproduktion im Spätwinter und Frühling durch Photovoltaik:
    In der Vergangenheit war der Strompreis im Winter und Frühling aufgrund der Nachfrage hoch. Nun produzieren Photovoltaikanlagen bereits ab März viel Strom, was die Preise senkt. Betreiber:innen von Speicherkraftwerken werden deshalb vermehrt schon im Winter Elektrizität verkaufen, solange die Preise noch hoch sind. 
  • Einführung der Wasserreserve seit 2022/2023:
    Betreiber:innen von Wasserkraftwerken sind verpflichtet und werden dafür entschädigt, Wasser bis Mitte Mai zurückzuhalten, um eine dauerhafte Energieversorgung zu garantieren. Diese Absicherung erlaubt es ihnen, bei der Produktion höhere Risiken einzugehen, um von guten Marktpreisen zu profitieren.
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Warum sollen zahlreiche Staumauern erhöht werden?

Die Schweiz will grössere Stromreserven für die Wintermonate schaffen. Dazu sollen vermehrt Stauseen genutzt werden. Um geeignete Ausbauprojekte zu bestimmen, lud das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zum «Runden Tisch Wasserkraft» ein. Beteiligt waren Kraftwerksbetreiber:innen, Umweltverbände und Bund. 

Die Beteiligten bestimmten 15 Projekte, welche die im Winter verfügbare Strommenge um total zwei Terawattstunden (TWh) erhöhen sollen. Bei 11 Projekten handelt es sich um eine Erhöhung bestehender Staumauern, um das Speichervolumen der Stauseen zu vergrössern, drei der Projekte sind neue Flutungen (Trift, Gorner, Chummen). Das Ausbauprojekt Chlus GR wurde nach dem Runden Tisch vom Bundesparlament ergänzt. 

Quellen:
https://www.news.admin.ch/de/nsb?id=86432

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Wie wirken sich Stauseen auf Ökologie und Umwelt aus?

Im Stausee selbst:

  • Verlust von Lebensräumen

Die Überflutung zerstört natürliche Lebensräume. Der entstehende künstliche See erzeugt nur begrenzt neue Lebensräume. Wegen der unnatürlichen Pegelschwankungen eignet sich ein Speichersee für viele Arten nicht als Lebensraum, besonders nicht als Laich- und Brutgewässer.

  • Veränderte Wassertemperatur und Schichtung

Das Ablassen des kalten Tiefenwassers beeinträchtigt das Ökosystem und kann zu einer Erwärmung des Sees führen. Unregelmässige Füllstände stören Umwälzprozesse im See.

  • Methanemissionen

Stauseen setzen weltweit jährlich ca. 22 Mio. t Methan frei. Methan entsteht durch die Zersetzung organischer Stoffe am Gewässergrund. Durch die Turbinierung des Seewassers werden grosse Mengen davon freigesetzt.

unterhalb der Staumauer:

  • Veränderter Abfluss

Der unregelmässige Wasserablass von Stauseen führt zu einer unnatürlichen Flussdynamik, was die natürlichen Lebenszyklen vieler Arten stört. 

  • Temperaturänderungen und Sauerstoffmangel

Kaltes, sauerstoffarmes Wasser, das aus der Tiefe des Stausees stammt und nach der Turbinierung in einen Fluss geleitet wird, kann dort Fischen und Kleintieren schaden.

  • Beeinträchtigte Fischwanderung

Staumauern behindern oder erschweren den Fischauf- und -abstieg, trotz Fischpässen.

Ausführliche Beschreibung der ökologischen Folgen


Quellen:
Eawag – Wasserkraft und Ökologie (PDF)
BBC Future – Methanemissionen aus Stauseen
aqua viva – Kräftemessen zwischen Wasserkraft und Ökologie

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Erklärung zu den verwendeten Begriffen (Konzession, Energieinhalt, Kraftwerksdaten)

Konzession:

Eine Konzession ist eine offizielle Bewilligung vom Staat oder Kanton, um einen Stausee und ein Kraftwerk zu bauen oder zu betreiben. Diese regelt z. B. wie viel Wasser genutzt werden darf, wie lange das Kraftwerk betrieben werden darf und was nach Ablauf passiert. Konzessionen für Wasserkraftwerke gelten meist 40–80 Jahre. Danach kann der Kanton das Werk übernehmen oder neu vergeben.

Energieinhalt:

Der Energieinhalt beschreibt wie viel Strom ein voller Stausee “speichern” kann. Sprich wie viel Energie kann erzeugt werden, wenn der volle Stausee komplett gelehrt wird und aus dem gesamten Wasser Strom Produziert wird.
Nicht alle Kraftwerkbetreiber berechnen den Energieinhalt für ihre Stauseen, deshalb ist dieser Wert nur bei manchen Stauseen angegeben.

Kraftwerksdaten:

Stauseen sind meistens Teil einer Kraftwerksgruppe mit mehreren Kraftwerken und Ausgleichsbecken. Die spezifische Stromproduktion des einzelnen Stausees zu bestimmen ist daher sehr komplex. Die Daten für die Stromproduktion beziehen sich auf die gesamte Kraftwerksgruppe. Deswegen unterscheidet sich die Jahresproduktion der Stauseen teils stark, da die zusätzlichen Wasserspeicher und Einzugsgebiete der restlichen Kraftwerksgruppe grossen Einfluss auf die Energieproduktion haben. 

Jeder der dokumentierten Stauseen ist das grösste Becken der jeweiligen Kraftwerksgruppe. (Ausnahme Muttsee)

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Informationen zu den Fotos

Alle Fotos wurden von Mitarbeiter:innen der SL im April-Mai 2025 aufgenommen.

Lago di Livigno: 29.04.2025

Marmorera Stausee: 30.04.2025

Mattmark Stausee: 13.05.2025

Lac de Moiry: 14.05.2025

Grand Dixance: 15.05.2025

Laco di Sambuco: 25.05.2025

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